Ich sitze gerade im Flieger von Karlsruhe-Baden nach London Stansted. Eine gute Gelegenheit, um über das Fliegen zu bloggen. Soviel sei verraten: Ich fliege nicht sonderlich gerne. Früher war das anders, da fand ich es einfach faszinierend. Früher bin ich ja auch auf hohe Bäume geklettert.
Es ist insofern etwas unpraktisch, dass ich nicht gern fliege, weil ich – wie schon in meinem letzten Post erwähnt – für ein internationales Unternehmen arbeite. Und dabei auch noch für die internationale Digitalentwicklung zuständig bin. Soll heißen: Ich bin öfters mal in der Luft unterwegs.
Es ist nicht, dass ich wirklich Flugangst habe. Also eine Angst, wie sie Elly Teration beschrieben (und besiegt) hat. Es ist mehr wie die Angst vor dem Zahnarzt, also vor etwas sehr Unangenehmen. In diesem Falle die Angst vor der Angst. Auf einem meiner letzten New York-Flüge in einer A380 (ein tolles Flugzeug) wackelte es in 12.000 Meter Höhe ziemlich ordentlich. Es war nicht wirklich schlimm, aber schön ist anders. Und ich hatte nicht damit gerechnet, dass ein solcher Riesenvogel so durchgeschüttelt werden kann. Das eigentliche Problem aber war, dass eine Frau die komplette halbe Stunde, die es schüttelte, weinte und schrie. Es ist etwas anderes, ob ein Kind weint und schreit, oder ein Erwachsener. Und so habe ich Angst davor, wieder in eine Situation zu kommen, die unangenehm ist und in der ich nichts machen kann. Vom Kopf her ist das alles kein Problem. Wie beim Zahnarzt. Geht ja vorbei – und passieren kann nichts. Davon bin ich rational absolut überzeugt, die Zahlen sind da eindeutig: 275,8 Verunglückte je eine Milliarde Personenkilometer bei PKWs, 2,7 bei der Bahn und 0,3 beim Fliegen (2005 bis 2009, Statistisches Bundesamt).
Mein Problem mit dem Fliegen lässt sich relativ gut eingrenzen: Es ist das Eingepferchte, dieses Ausgeliefertsein, die Machtlosigkeit. Auch wenn meine Sitznachbarin gerade zu ihrem Freund, dem es wohl ähnlich wie mir geht, sagte: Im Zug ist es doch eigentlich genauso. Nein, ist es nicht. Im Zug kann ich (OK, eher theoretisch) die Notbremse ziehen, die Scheibe einschlagen und raus bin ich. Im Flugzeug kann ich nichts machen. Wenn etwas passieren würde, wäre ich ausgeliefert. In an unlikely event of… Diese Instructions zu Beginn sind auch nicht wirklich hilfreich.
Ist das eigentlich vor allem eine Männergeschichte, diese Sache mit dem Kontrollverlust? Kommt mir manchmal so vor. Ich wundere mich immer über die Businesstypen, die sich ganz früh in die Schlange beim Boarding stellen. Wieso eigentlich? Der Flieger fliegt doch eh nicht, bevor ich nicht drin bin (also, so generell gesprochen). Und sie sitzen doch noch lange genug drin. Die einzige Erklärung, die ich habe, ist: Hierauf wenigstens haben sie noch Einfluss, die Alphatiere. Sie sind es, die es in der Hand haben, wann sie reinkommen. OK, ich bin kein Psychologe, ist nur so eine Theorie. Wenn ich aber mal eine Airline besitze, dann biete ich Placebosticks für die Fluggäste an: „Helfen Sie dem Piloten bei Start und Landung. Verringern Sie die Turbulenzen, indem Sie aktiv gegensteuern. Nur 25 Euro Aufpreis!“ Das wird der Renner bei den Geschäftsleuten. Und ich werde reich!
Doch zurück zum Problem mit der Angst. Als ich mit einer Freundin darüber sprach, erzählte sie mir etwas über Flugangstseminare, das ich sehr interessant fand – und wenig aufbauend: Die meisten Teilnehmer sind Vielflieger. Menschen, die aus beruflichen Gründen fliegen müssen, und Flugangst entwickelt haben, zum Beispiel durch ein dramatisches Erlebnis. Und das ist meine größte Sorge: Nicht mein momentanes Unwohlsein ist das Problem. Angst habe ich davor, Flugangst zu bekommen, denn dann könnte ich mir einen neuen Job suchen. Was sehr schade wäre. Deshalb schreibe ich das mal auf, das hilft immer. Den Rest erledige ich mit Verdrängung.
Wer noch Angst vor der Flugangst hat oder haben sollte, sind meiner Ansicht nach die Fluggesellschaften. Hier wundere ich mich, dass sie während solcher Turbulenzen, wie ich sie erlebt habe, nicht aktiver beruhigen. Die Logik scheint zu sein: Wir demonstrieren, wie normal das ist, indem wir gar nicht groß drauf eingehen. Man begnügt sich damit, dass der Pilot vorher durchsagt: „Because of some turbulences the flight might be a bit bumpy!“ Nun, sie müssen wissen, was sie tun. Was passieren würde, wenn das Vertrauen ins Fliegen grundsätzlich erschüttert würde, lässt sich nur erahnen. Wie groß die Sorge davor ist, zeigt der Aufwand, mit dem nach Flug MH370 gesucht wird. Ein interessantes Gedankenspiel in diesem Zusammenhang: Würde aufgrund einer kompletten Verunsicherung niemand mehr fliegen, so müssten viele Flieger ohne Passagiere in der Luft gehalten werden, weil es nicht genug Stellplätze am Boden gibt. Habe ich zumindest damals beim Ausbruch des Eyjafjallajökull im Jahr 2010 gelesen. Klingt auch ziemlich plausibel, finde ich.
So, wir nähern uns London. Praktisch übrigens, dass man nun endlich alle elektronischen Geräte (im Flugmodus) angeschaltet lassen darf. Spätestens seit ich mal eine italienische Schulklasse im Flieger hatte, weiß ich, dass Handys (zumindest die von 20 jungen Italienern) die Bordelektronik nicht stören. Eine Sorge weniger.
Nun rüttelt’s wieder. Kein Wunder, Aprilwetter, gewittrig. Kein Problem für eine Boeing 737. Das sage ich mir selbst, da der Pilot diese Aussage mal wieder für trivial hält. Halt wie mein Zahnarzt, der meint, ich solle mich mal nicht so anstellen. Wahrscheinlich hat er Recht.
Das ging mir ganz lange genauso – bis ich eines dieser Flugangstseminare bei der Lufthansa machte, sponsored by meinem Papa, seines Zeichens Vielflieger. Ich bin mitgegangen, weil meine Mutter dieses Seminar machen sollte-wollte, und ich selbst auch immer latentes bis ziemliches Unwohlsein verspürte beim Fliegen.
Im Endeffekt, so lernte ich bei dem Seminar (das ist lange her, 20 Jahre bestimmt!), geht es um Vertrauen. Bzw. die Kontrolle abzugeben. Irgendwie zu glauben, dass das alles seine Richtigkeit habe, und dass die Leute ihren Job schon ordentlich machen. Klingt simpel, war aber sehr schwierig in meinen Kopf bwz. meinen Bauch zu kriegen. 🙂
Viele Grüsse von einer, die danach oft und ganz ohne Unwohlsein flog,
Christine
Bruderherz: Zitat: „Wenn etwas passieren würde, wäre ich ausgeliefert.“
Ich glaube ich muss Dir mal ein paar gute Action Filme mit Flugzeugen empfehlen. In all den Streifen hat der (männliche) Action Held immer hunderte Wege die eigentlich schon aussichtslose Situation rumzureißen und am Ende in den Armen einer hübschen Frau zu landen. Aktuell in der Rubrik besonders mit Hollywood Ende ist Non-Stop zu empfehlen. Habe herzlichst gelacht.
Bin noch unsicher ob ich Dir auch „Aircrash Investigation“ auf Discovery Channel empfehlen soll. Den da gibt es neben Abstürzen die durch heldenhafte Crew Mitglieder verhindert wurden auch einige wo das Gegenteil passiert.
Dein Bruderherz
Tja, Brüderchen. Das story telling hat einen entscheidenden Haken: Ich bin schon in den Armen einer schönen Frau gelandet. Und deshalb klappt das dann mit dem „vorher“ rumreißen jetzt nicht mehr 😉
Aber dennoch danke!
Grüße
Bruderherz
Lieber Richard, der Kontollverlust ist keine Männergeschichte, dafür bin ich das beste Beispiel. 🙂
Steffi
Weiteres Puzzelstück zur Beruhigung:
Flugzeug fliegt auch mit Loch im Flügel:
http://www.avherald.com/h?article=471862b4&opt=0
Die Geschäftsmänner drängen deswegen als erste ins Flugzeug, damit sie ihren ganzen Kram unterbringen können, von wegen ein Gepäckstück…
Und nein, das mit dem Kontrollverlust ist kein Männerding. Das zu Deiner Beruhigung vor dem nächsten Flug :-).
Nun, Anke, das klingt doch nach einer Erklärung.Wobei die Männer ja nur soviel Kram dabei haben, weil sie für die Frauen irgendwas aus NYC, London und so mitbringen müssen! *flitz*