Die Sache mit diesem Whatsapp

Gestern war Elternabend. Klasse 5b. Ein netter Elternabend. Nicht zu lang, informativ. Mit erfreulichen Worten über eine nette, wohlerzogene(!) Klasse, mit der Unterricht und Ausflüge Spaß machen. Alles gut also. Bis dann am Ende noch die Sprache auf diese Sache kam. Die Sache mit dem „Whatsapp“, Sie wissen schon.

Nein, wir wissen nicht. Wir glauben zu wissen…Ich hörte mir das an, die Mahnungen, die Warnungen. Und ich sagte nichts. Ich sagte nichts, weil ich auf der dunklen Seite stehe. Einer der Bösen bin, die ihren Kindern ein Smartphone geben und Whatsapp erlauben.

Später lag ich dann im Bett und sagte doch etwas. War halt nur ein bisschen spät, da hörte dann keiner mehr zu. Also dachte ich, schreibe ich es mal auf. Dann habe ich es mir von der Seele geschrieben. Und vielleicht liest es ja der eine oder die andere von denen, die mich auf der dunklen Seite sehen. Und findet mich nicht mehr ganz so böse. Mal sehen.

Mein Job ist Kommunikation
Ich arbeite in einem Unternehmen, das über die ganze Welt verteilt ist. Damit die Menschen in diesem Unternehmen zusammenarbeiten können, nutzen wir so viele Arten des Austauschs, wie möglich. Nicht blindlings, nicht naiv, aber intensiv und mit einem „im Zweifel ja“. Ich habe mit unzähligen Menschen auf der Welt zu tun, jeder ist in einer anderen Situation. Deshalb versuche ich so viele Kommunikationswege zu lernen, wie möglich. Mein Gegenüber darf entscheiden, ob wir skypen, facetimen, hangouten oder einfach nur telefonieren. Mancher mag sagen, dass ich mich so zum Sklaven der Technik mache. Mancher mag mich als Herrscher über die Technik bewundern. Beides ist Quatsch. Es sind Handwerkszeuge, mit denen man umgehen lernen muss. Nicht mehr, nicht weniger. Ich weiß nicht, welche dieser Handwerkszeuge meine Kinder mal benutzen müssen oder dürfen. Aber ich bin ziemlich sicher, dass es keine simplen sein werden.

Damit alle im Unternehmen sich über Leitlinien informieren können und auch von den Leuten erfahren, die man noch nicht kennt, die aber an einem ähnlichen Thema arbeiten, wurde ein internes Social Network aufgebaut. Nicht jeder muss es nutzen, nicht jeder will es nutzen. Ich respektiere, dass insbesondere manche meiner deutschen Kollegen sich dem verweigern. Verstehen und akzeptieren aber muss ich es nicht. Vor allem aber muss ich mir nicht die Mühe machen, für diese Kollegen die Informationsrosinen aus diesem Universum zu picken. Das für sie aufzuarbeiten, was womöglich relevant ist. Ihnen zu referieren, in welche strategische Richtung sich das Unternehmen entwickelt. Diese Fähigkeit, aus einem Meer an Menschen und Informationen diejenigen herauszufiltern, die wichtig sind, muss man erwerben. Je früher und spielerischer man dies lernt, umso besser. Und deshalb dürfen meine Kinder Facebook und Whatsapp nutzen.

FSK 16!!!
„Aber in den Nutzungsbedingungen steht doch, dass das erst ab 16 ist.“ Hallo? Was soll der Unsinn? Die können da reinschreiben, was sie wollen, um sich gegen mögliche Klagen zu wehren. Ich habe nicht vor, Whatsapp zu verklagen – und Whatsapp wird mich nicht verklagen. Ab welchem Alter was sinnvoll ist, hat nichts mit Technik zu tun.

Ja, unsere Kinder müssen lernen, dass alles, was sie in welcher geheimen Gruppe auch immer posten, nicht geheim ist. Dass es jederzeit ans Licht geholt und gegen sie verwendet werden kann. Aber das erkläre ich ihnen doch nicht, indem ich sage „Nachdem Facebook Whatsapp gekauft hat, darfst Du es nicht mehr benutzen!“ „Hä? Wieso bist Du dann auf Facebook, Papa?“ „Das ist was ganz andere, mein Kind!“

Oder indem ich über die NSA rede. Sollte ein Geheimdienstler den Auftrag bekommen, die Whatsapp-Konversation unserer Kinder zu überwachen, dürfte seine Frühverrentung schon beschlossene Sache sein. Lange hält ein erwachsener Mensch dieses „Hi… Hi… OMG…“ ohne bleibende Schäden nicht aus…

whatsapp
Dialoge zum in den Wahnsinn treiben – so what?

„Ach, jetzt haben sie sich aber ein Bein gestellt, Herr Zinken. Bleibende Schäden! Die digitale Demenz! Was der Herr Spitzer sagt!“ Tut mir leid, was der Herr Spitzer sagt ist bewiesenermaßen Unsinn. Der Link muss reichen, ich habe ehrlich gesagt keine Lust, mich mit dem ängstlich-ahnungslosen Gerede eines alten Mannes zu befassen. Da höre ich dann doch lieber meinen Kindern zu. Oder eben auch nicht. Denn es ist schon in Ordnung, wenn Eltern die Ausdrucksweise ihrer Kinder schwer erträglich finden. War bei uns damals auch nicht anders, obwohl wir ja nichts hatten. Noch nicht mal Whatsapp.

Peter und der Pausenhof
Aber dann ist da ja noch die Sache mit dem Mobbing. Mobbing ist nicht tolerierbar. Aber auch Mobbing ist keine Frage der Technik, sondern des Charakters. Wenn unsere Kinder andere Kinder mobben, dann nicht, weil wir ihnen Whatsapp erlauben. Nicht Smartphones mobben, Menschen mobben! Wenn unsere Kinder mobben, dann haben wir bei der Erziehung versagt. Dann hilft es nicht, ihnen das Handy wegzunehmen, sondern dann müssen wir mit unseren Kindern reden!

Wenn die Kinder Bilder und Videos über Whatsapp teilen, dann sind das erst einmal Bilder und Videos. Die sie teilen. Wenn diese Inhalte problematisch sind, dann sind sie nicht wegen der Technik problematisch, sondern wegen ihres Inhalts. Es stimmt, es ist einfacher mit Whatsapp etwas zu teilen. Das ist aber auch schon alles. Früher haben Eltern und Lehrer gerne ignoriert, wenn sich in der Ecke des Pausenhofs ein paar Kinder über krakelige Zeichnungen amüsierten, auf denen Peter in der Nase bohrt. Heute ist die Ecke des Pausenhofs die Whatsappgruppe – und die Zeichnung ein scharfes Handybild, das (Aufschrei!) mit einem Knopfdruck „an die ganze Welt geschickt werden kann“. Nein, kann es nicht! Weil die Welt Peters Finger in der Nase nicht interessiert! Die Welt ist zugemüllt mit Popelbildern– und deshalb ist es schnuppe, ob irgendein Geheimdienst oder Facebook diese Bilder speichert. Der Pausenhof war das Problem und bleibt das Problem. Das direkte Umfeld, die Kinder, die über Peter lachen, weil er in der Nase bohrt – und die Erwachsenen, die nichts dagegen tun,

Insofern ist sie gut, die Diskussion, die geführt wird – oder eben auch nicht geführt wird. Sie sollte halt nur nicht auf einem Nebenschauplatz stattfinden. Für mich hat das schon geklappt. Ich habe meine Tochter diesen Blogpost vorher lesen lassen –  und wir haben viel und gut darüber gesprochen. Mehr noch, viele ihrer Gedanken sind hier mit eingeflossen. Und ich bin zuversichtlich, dass sie mir sagen wird, wenn irgendetwas schief läuft. Besser geht’s – für mich zumindest – nicht.

Kein Whatsapp ist auch keine Lösung
Alle Eltern wollen ihre Kinder schützen. Und die Lehrer wollen unsere Kinder schützen. Schützen vor den Gefahren da draußen. Man kann dies tun, indem man die Kinder drinnen lässt oder an die Hand nimmt. Aber die Gefahren da draußen bleiben. Und werden vielleicht sogar größer. Und irgendwann müssen wir die Tür öffnen und die Hand loslassen. Was dann? Kein Whatsapp ist halt auch keine Lösung. Also lasst uns reden. Lasst uns nicht Bedrohungsszenarien aufbauen, in denen eine Klassengruppe der Untergang des Abendlandes ist, lasst uns nicht Fronten zwischen jenen aufbauen, die es sich vermeintlich leicht machen, indem sie erlauben, und jenen, die verbieten und mahnen. Diese Fronten sind Mist, weil wir – Eltern wie Lehrer – eigentlich das Gleiche wollen: Das Beste für unsere Kinder!

Wir können es gut oder schlecht finden, was da passiert. Ändern können wir es nicht. Wir können uns verweigern oder mitmachen. Ändern werden wir es nicht. Ich habe mich entschieden, mitzumachen. Dabei zu sein, um selbst zu erfahren, wie es ist, anstatt es von anderen zu hören. Und wir haben entschieden, dass unsere Kinder mitmachen dürfen. Um den Umgang zu lernen. Jetzt. Nicht morgen, nicht nächstes Jahr, nur weil in irgendwelchen Nutzungsbedingungen irgendeine Zahl steht. Die bittere Wahrheit ist: Niemand kann unseren Kindern beibringen, wie man Facebook, Whatsapp und Co richtig nutzt. Weil es niemand von uns Alten wirklich weiß. Wir können es nur mit unseren Kindern gemeinsam erforschen. Sie werden dieses Wissen brauchen.

22 Antworten auf „Die Sache mit diesem Whatsapp“

  1. Danke, dass du deinen Gedanken dann doch noch freien Lauf gegeben hast, wenn auch nicht vor versammelter Elternschaft.
    Du sprichst mir aus der Seele.
    Ich habe zwei Sohne, 16 & 13 Jahre alt. Dazu bin ich bei beiden Elternsprecherin in der Klasse.
    Wie oft ich mich, ebenso wie du, aliengleich in einer dunklen Ecke gefühlt habe an diesen Schultischchen sitzend, wenn die Diskussion um Handy, Facebook & co, losging und ich momenteweise unsicher war, wer nun eher in einer Parallelwelt lebt: ‚die‘ oder ich?
    Spätestens zu Hause, Twitter an und Handy im Anschlag neben mir, wusste ich es ganz gewiss: die sind es.
    Das dauert höchstens noch eine Generation.
    Sie ist am Aussterben, diese Spezies.
    Obwohl ich schockierterweise feststellen musste, dass auch sehr junge Lehrer teils ganz ’spröde‘ mit diesen Medien und der entsprechenden Technik umgehen.

    Hat gut getan, deine Gedanken zum Thema zu lesen. Ich teile sie voll und ganz und bin (mal wieder) beruhigt, dass ich bei diesen Elternrunden offensichtlich nicht der einzige ‚Alien‘ bin.
    Wenn es sich auch wirklich – immer noch, immer wieder – so anfühlt.

  2. Meine Kinder (24 und 22) sind aufgewachsen als der Computer an sich noch suspekt war und mit den Diskussionen über Baller Spiele. Mein Sohn hatte mit 5 schon mehr Spiele auf unserem Rechner, als ich Programme. Meine Tochter hat mich mit knapp 17 noch um Rat gefragt, ob eine Seite seriös ist. Hätte sie nicht mehr gemusst, denn worauf es ankommt, habe ich ihr vorher schon bei gebracht. Aber dieses Vertrauen hat mich stolz gemacht. Dieses Vertauen lag wohl daran, dass ich nie verboten habe etwas auszuprobieren, ich habe nur dafür gesorgt, dass sie im Netz nicht betrogen wurden, oder sich Vieren und Würmer einfangen. Heute ist mein Sohn Teamleiter von 22 Mitarbeitern und meine Tochter in den Betriebsrat gewählt worden. So falsch kann die Erziehung zu mündigen Mediennutzern wohl nicht gewesen sein.

  3. Danke für diesen tollen / erfrischenden Text. Ich habe keine Kinder, nur Nichten und Neffen , und darf mir daher häufig anhören, dass ich nicht mitreden kann, keine Ahnung habe und „mich raushalten soll“ Es ist schön zu lesen, dass es auch Eltern gibt, die denken wie ich. Das macht mir Hoffnung 🙂

  4. Vielen Dank für diesen schönen Kommentar, den ich als medienaffiner, bloggender, twitternden und whatsappender Lehrer (der trotzdem jeden Tag zweifelt, ob WhatsApp&Co. eine gute Idee für Kinder sind) sehr gerne gelesen habe.
    Was ich zu bedenken geben möchte ist, das das Blöde an WhatsApp ist, dass von Mobbing betroffene Schüler selbst zuhause keine Ruhe mehr finden können; die Nachrichten und Bilder verfolgen sie, wohin sie auch gehen.

    Kein WhatsApp ist keine Lösung; die Kinder sich selbst zu überlassen (auch bei TV, PC-Spielen etc.) aber auch nicht. Und leider beobachte ich auch letzteres.

    1. Man kann Computer und Handkes zu hause ausschalten… Meine Zwillinge, beide in der x-ten Klasse benötigen keine Regeln dazu . das funktioniert automatisch, dass das Handy, sobald die Verabredungen besprochen und die Fußballergebnisse gegoogelt sind, uninteressant ist.
      Über Nacht darf das Telefon nicht mit in die Zimmer , aber das war hinsichtlich der Akzeptanz auch nie ein Problem… Ich denke, auch, dass Mobbing keine Frage des Mediums ist. Ich erinnere mich gut, dass es auch vor WA anonyme Anrufe, geschaltete Zeitungsanzeigen und dämliche Briefe im Postkasten gab…. Völlig analog…. Ich bin nicht der Meinung, dass ein WA-Verbot die Wahrscheinlichkeit des Mobbens abschwächt, noch die Qualität entschärft. Im Gegenteil, dadurch, dass ich einen Zugang zu den Telefonen meiner Jungs habe, kann ich sehen, was sie schreiben und bekomme es aller Wahrscheinlichkeit eher mit, wenn sie mobben oder gemoppt werden, als wenn das weniger öffentlich passieren würde.

  5. Die letzten zwei Sätze unterschreibe ich voll. Allerdings, ein wenig aufklären können wir Digital Immigrants die Kinder schon, denn auch Ältere sind mittlerweile intensiv im Netz unterwegs. Was noch viel zu wenig passiert, ist die Aufklärung darüber, was uns Big Data bringen wird. Die scheinbar unwichtigen Postings, im Fachjargon „Datenabgase“ genannt, sind genauso wichtig für künftige Berechnungen und Vorhersagen mittels Algorithmen, wie andere Posting. Es kann nicht schaden, sich ein wenig in diese Richtung zu informieren! 😉
    Zweitens: „Dabeisein“ können wir nicht, wenn die Kinder es nicht erlauben, denn sie können in ihren Gruppen die Erwachsenen einfach ausschließen! Aber, alles müssen wir ja auch nicht
    wissen! 😉

  6. Danke für diese Lektüre. Habe ich gerade sehr genossen, zumal bei uns vor kurzem alles „Böse“ vom Schulgebiet verbannt worden ist. Totales Smartphoneverbot durch Abstimmung, und nur 2 Elternvertreter waren gegen das Verbot. Der Rest fand die schlicht unumsetzbare Idee supi.
    Ich habe vor einiger Zeit bei mir im Blog unseren Elternabend mit dem Verein „Innocence in Danger“ verbloggt. Und danach vermutet, dass die Vorbehalte, die ja oft auf schierem Unwissen gründen, durch eine gewisse mediale Panikmache noch geschürt werden. Mobbing , das unberechenbare digitale Gedächtnis, die Angst, die Kinder könnten Nacktphotos von sich über WhatsApp verbreiten, Pädophile … das Internet ist ja ein ganz übler Raum, wie wir alle wissen. 🙂
    Deinen Blogpost werde ich ausdrucken, wenn ich mal wieder in Streitlaune mit einer Elternschaft bin, die, wie Du so richtig schreibst, etwas verbietet, dessen Umgang sie nicht beibringen kann.

    1. Hi Juna,

      wie ich grad schon Jochen antwortete: Dass das Smartphone in der Schule nicht benutzt werden darf, finde ich OK. Mobbing verhindert man dadurch alles auch nicht, das findet dann halt an der Bushaltestelle statt. Mobbing verhindern wir, indem wir unsere Kinder sensibel und stark machen. Und wenn sie soviel Vertrauen zu uns haben, es uns zu erzählen, wenn sie es mitbekommen. Dieses Vertrauen bekommen wir Verbote aussprechen, die sie nicht nachvollziehen können…

  7. Bin im Ganzen völlig bei Dir. Mein Großer wird 12 und whatsappt wie wild mit seinen Spezis mit allen schrägen Kürzeln und das noch im Dialekt.

    Und ebendas ist m. E. der Haupttreiber, warum die Kinners das gern früh machen: weil die anderen ja auch ‚da drin‘ sind.

    Wenn das einher mit Deinem Wunsch geht, dem Kind das Erlernen von Informationsselektion einher geht ist das fein, aber das wird nicht der einzige Anlass für die Erlaubnis gewesen sein, oder?

    1. Hi Karsten,

      die Frage nach dem „Anlass für die Erlaubnis“ ist interessant. Es verkehrt meine normale Logik ins Gegenteil. Ich brauche normalerweise einen „Anlass für ein Verbot“ nicht für eine Erlaubnis. Aber es stimmt schon. Dadurch, dass das Verbot in diesem Falle das normale zu sein scheint (und, OK, „Whatsapp“ ist ja quasi „verboten“, da erst ab 16), passt die Logik natürlich. Also, was mir durch den Blogpost klar geworden ist: Jetzt ist das Alter, indem ich diese Welt mit meiner Tochter noch gemeinsam erkunden kann. Je älter sie wird, desto weniger habe ich darin zu suchen. Und desto weniger kann ich helfen.

  8. Danke für diese schön unaufgeregte und pragmatische Sicht der Dinge.

    Ja, am meisten Angst macht immer das, was wir nicht kennen und in Bezug auf die Kinder sind wir Eltern immer besonders sensibel – wollen wir doch alles „richtig machen“.
    Ich glaube, dass heutzutage vor allem der Gradient der technischen Entwicklung Auslöser ist für die diffusen Ängste. Noch nie hat sich das Lebensumfeld in so kurzer Zeit so rapide verändert – da „am Ball“ zu bleiben erfordert tatsächlich aktive Teilnahme an eben diesem Fortschritt.

    Wir (älteren) Eltern von heute haben meist noch eine relativ langsame Kindheit gelebt, im Sinne von: Fernsehen bedeutete drei Programme mit Biene Maja, Daktari und Waltons, und wenn uns langweilig war, wurden wir (wenn’s ging) raus geschickt und haben uns mit Nachbarskindern die Knie aufgeschrammt, Äpfel geklaut und gegenseitig Steine an den Kopf geworfen. Wir sind auf Bäume geklettert und niemand stand unten und hat um uns gezittert. Auf uns haben keine High-Scores gewartet, die zu erreichen extrem gute Reaktionen und schnelle Auffassungsgabe erfordern. Wir waren nicht in jedem Moment des Tages online, dafür aber auch den ganzen Nachmittag frei und unbeaufsichtigt.

    Heute sind aber High-Scores die neue Herausforderung, die Verknüpfung mit Freundinnen und Freunden rund um die Uhr Realität. Das kabelgebundene Wählscheibentelefon und Zeichentrick-Heidi haben ausgedient und kommen nicht wieder. Dafür sind die Kinder heute aber extrem fix im Geiste, haben ein Verständnis für die Neuerungen, bei dem wir nur mithalten können, wenn wir diese ebenfalls verfolgen. Jetzt kommt es nur noch darauf an, zum Beispiel Computerspiele, die tatsächlich ethisch bedenklich sind, so wahrzunehmen, dass sowohl deren Realitätsferne unseren Kindern bewusst gemacht wird wie auch die Gefahr, zu viel Lebenszeit daran zu verlieren.

    Das hat auch unsere Schule verinnerlicht.
    Und das ist eine Waldorfschule.
    Sie tanzt keinen Bogen um die Neuen Medien und kann Computer nicht nur malen sondern auch bedienen. Sie ist bei Facebook und macht Radio.

    Aber: Sie unterbindet die Handy- und MP3-Player-Nutzung auf dem Schulgelände. Für Kinder und Eltern und Lehrer. Denn nur eine klare Regel ist eine durchsetzbare Regel. Nur so können die Popel-Peter wenigstens während der Schulzeit nicht drangsaliert werden. Das Gleiche gilt für Klassenfahrten. Denn Kinder sind experimentierfreudig und – sprechen wir es ruhig aus – in gewissem Alter auch sozial inkompetent, vor allem, wenn Eltern kein Vorbild sein können.

    Aber #2: Unsere Schule bietet Informationsabende an über Facebook und Co. (gehalten von einem Jugendbeauftragten der Polizei), demletzt wurden die gängigsten Computerspiele (von einem jungen Erwachsenen „Player“) mit ihren Inhalten, Potenzialen usw. vorgestellt. Wir Eltern müssen diese Informationen nur aufnehmen und eben „dran bleiben“, auch wenn’s anstrengend ist. Für „Lassie“ und „Flipper“ ist Sendeschluss.

    Fazit bleibt: wir Eltern legen die Grundlagen für das Verhalten unserer Kinder und können das auch nicht auf Lehrer oder Institutionen abschieben. Machen wir unseren Job halbwegs richtig, können WhatsApp, COD & Co. auch heute nicht dem ersten Kuss das Wasser reichen!

    1. Hallo Jochen,

      danke für Deinen Kommentar! Gefällt mir gut. Vielleicht hätte ich das (und vieles andere) noch klarstellen sollen: Ich finde es richtig, dass auch unsere Schule die Benutzung von Smartphone und Co auf dem Schulgelände und während des Unterrichts verbietet. Aus den verschiedensten Gründen finde ich das richtig. Die Mitnahme(!) bei einer Schulfreizeit zu verbieten fand ich dann allerdings übertrieben. Und ich fühle mich insofern bestätigt, als dass es meinen Kinder genauso geht: Das mit während der Schule akzeptieren (und befolgen) sie vollends. Das mit dem Ausflug fanden sie Unsinn.

      Ach ja: Unser Sohn (das ältere Kind) findet das langsam alles eher langweilig. Soviel zu Deinem Fazit 😉

  9. Sehr schöner Artikel, Richard.

    Wenn wir die technologische Entwicklung alleine der letzten 10 Jahre betrachten, wer will da schon vorhersagen wo wir in 10-15 Jahren sein werden. Die Technologie, die unsere Kinder dann verwenden und die Jobs, die sie dann haben werden, existieren heute noch nicht.
    Nicht nur das, ich denke wir können uns in den kühnsten Träumen noch nicht ausmalen wie sie aussehen könnten (vielleicht fahre ich dann endlich Hoverboard…).

    Klar, an uns Eltern sind damit sehr hohe Forderungen gestellt. Die Technik von heute bringt so einige von uns schon an Grenzen – da fällt es schwer Verständnis dafür aufzubringen geschweige denn den „vernünftigen“ Umgang damit vorzuleben.

    Das Verteufeln der Technik in Ermangelung besseren Wissens hilft Eltern nicht weiter. Heute die gleichen Standards anzuwenden (beim Medienkonsum) wie in unserer Kindheit funktioniert nicht, da sich das Angebot drastisch verändert hat. Der Vater aus den „neuen Bundesländern“ verbieten seinen Kindern ja auch nicht Bananen zu essen, weil er sie früher auch nicht hatte…

    Du bringst es auf den Punkt, all die negativen Dinge auf den verschiedenen Sozialen Medien (inkl. WhatsApp) sind nicht durch die Medien entstanden. Es gab sie schon immer, sie werden jetzt nur sichtbarer und Eltern reden sich mit der Schuldzuweisung in Richtung Facebook & Co. aus der Verantwortung.
    All die Technologie ändert nichts daran, dass wir Eltern unseren Job machen müssen.

    Tolles Plädoyer und so wahr!

    Andreas

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