Diesen Blogpost wollte ich vor drei Wochen schreiben. Vor drei Wochen wäre er vielleicht als naiv und weltfremd abgetan worden, auf jeden Fall aber als arg optimistisch. Nun kam mir der Urlaub dazwischen – und Deutschland einige Flüchtlinge, etliche #trainsofhope und allerhand #refugeeswelcome. Und vieles von dem, was ich in meinem Post damals als Hoffnung formuliert hätte, ist längst gelebt worden.
Schreiben wollte ich, dass wir keine Wahl haben werden, ob wir Flüchtlinge in Deutschland haben wollen oder nicht. Und schreiben wollte ich, dass wir eine Wahl haben, wie wir sie begrüßen und ein Zusammenleben gestalten. Dass wir eine Wahl haben, ob wir völlig sinnbefreit Häuser abfackeln oder Zukunft gestalten. Gemeinsame Zukunft.
Ich hätte geschrieben, dass ich die Angst vor dem Fremden verstehe – und die Sorge vor Ohnmacht. Und ich hätte geschrieben, dass es ein Mittel gegen beides gibt: Aktiv werden, auf die Flüchtlinge zugehen, sie Willkommen heißen und die Fremdheit überwinden.
Ich hätte mir gewünscht, dass wir unser Land nicht durch die wenigen repräsentieren lassen, die menschenverachtend grölen, sondern durch all jene, die bereit sind, ein klein wenig von dem vielen, was wir haben, zu teilen.
Und ich hätte geschrieben, dass ich daran glaube. Daran glaube, dass viele Menschen in meinem Land dazu bereit sind, diese Menschen willkommen zu heißen und ihnen zu helfen. Die Grundlage für diesen Glauben fusst auf einem Ereignis, das 23 Jahre zurück liegt – und noch heute habe ich was im Auge, wenn ich daran zurückdenke. Am 9. November 1992 stand ich auf dem Chlodwigplatz in Köln – zusammen mit 100.000 anderen. 100.000, die in kürzester Zeit dem Aufruf zum „Arsch huh – Zäng ussenander gegen Rassismus und Neonazis“ gefolgt waren. Seit diesem Tag weiß ich: Ihr seid da draußen, und ihr werdet da sein, wenn es nötig ist.
Das hätte ich vor drei Wochen geschrieben. Heute brauche ich das nicht mehr, denn während meines Urlaubs wart ihr da und habt die Menschen in Deutschland begrüßt. Und ich habe wieder was im Auge.
Lasst euch nicht einreden, ihr wäret naiv. Naiv ist, wer die Realität leugnet, nicht wer sie aktiv gestaltet
Ich weiß, es ist erst der Anfang, der schwierigste Teil kommt noch. Aber wir können es schaffen, all diese Menschen zu integrieren, so wie es durch die Jahrhunderte immer gelungen ist, Hundertausende zu integrieren. Köln ist nicht das einzige, aber ein mir besonders liebes Beispiel für jahrhundertelange Integrationsfähigkeit. New York, wo ich gerade her komme, ein anderes, sehr vitales. Bleibt mir also vom Hals, Ihr Schwarzseher, die hinter jedem syrischen Flüchtling einen Terroristen sehen. Terrorismus bekämpft man nicht mit Abgrenzung, Terrorismus erschafft man mit Abgrenzung!
Also, wir haben die Wahl: Wollen wir uns in einer Burg verschanzen oder eine vitale Stadt, ein lebendiges Land erschaffen?
Ach was, nicht erschaffen, einfach erhalten. Denn ihr habt während meines Urlaubs gezeigt, dass wir ein solches Land längst sind.
Dafür danke ich Euch!
Lieber Richard,
vielen Dank – ich kann da nur aus vollem Herzen zustimmen! Was hätten all jene Schwarzseher denn gemacht, die der Kanzlerin vorgeworfen haben, die Grenzen geöffnet zu haben?
Die Grenzen abriegeln? Auf verzweifelte Flüchtlinge schießen? Riesige Internierungslager schaffen?
Ich bin dankbar, dass Deutschland so reagiert hat, wie es reagiert hat – und bin stolz auf die vielen Menschen, die sich engagieren (und tue dies selbst natürlich auch).
Danke, Michael. Umso bitterer, dass nun die Grenzen wohl dichtgemacht werden.